Seide 3 – Entstehung der europäischen Seidenzentren

Seide zur Zeit der Islamischen Expansion

Während der arabischen Eroberungsfeldzüge zwischen dem siebten und neunten Jahrhundert unserer Zeitrechnung errichteten die Eroberer an vielen Orten in Europa Textil-Manufakturen, sogenannte Tiraz, die mit Webern aus dem eigenen Kulturraum arbeiteten. Textilbezeichnungen aus dieser Zeit erinnern noch an die arabische Besatzung. So beispielsweise Musselin (Mosul), Damast (Damaskus) oder Taft. Hier wurde neben Wolle und Leinen auch Seide verarbeitet, insbesondere für Stickereien. Spanien und Sizilien lernten in dieser Zeit alles Wichtige über die Seidenraupenzucht, die Seidenproduktion und die Weberei.

Seide in Sizilien

Während der Herrschaft der Wikingerkönige (1091-1194) erhielten heraldische Motive Einzug in die Textiltradition Siziliens. 1147 holte Roger II vermehrt griechische Kunsthandwerker nach Palermo, die byzantinische mit arabischen Stilelementen kombinierten. Das betraf auch die Seidenstoffe. Darüber hinaus hatte die sizilianische Schule einen großen Einfluss auf die europäische Seidenwebkunst im Allgemeinen. Ab dem 13. Jahrhundert flüchteten viele Weber aus Palermo aufs italienische Festland, nachdem Sizilien von Aragon erobert worden war.

Die Stadt Lucca als Seidenzentrum

Mit der Zuwanderung von sizilianischen Webern aufs italienische Festland gewann die Stadt Lucca für die Seidenproduktion an Bedeutung. In Lucca stellte man seidene Luxustextilien her, die teilweise sogar mit Edelsteinen verziert waren. Die Webtechnik war persischen Ursprungs. Man webte Damast ähnliche Seidenstoffe, die ein- oder zweifarbig waren und in die Metallfäden eingewebt waren. Die Stoffe wurden als „Lampas“ oder „Diaspern“ (Diasprum, Sg.) bezeichnet. Waren zu Beginn des 13. Jahrhunderts Vogelpaare ein beliebtes Motiv, änderten sich die Designs im Laufe der Zeit. Es kamen Quadrate und Diamanten sowie heraldische Lilien (fleurs-de-lys) hinzu. Im 14. Jahrhundert orientierten sich die Weber an chinesischen Motiven der Yuan-Dynastie und es traten vermehrt Lotusblumen oder Pfingstrosen auf. Auch gotische Dessins waren beliebt. Dazu zählten Darstellungen von Schiffen, Bäumen und Menschen in religiösen Zusammenhängen sowie in Jagdszenen. Ende des 14. Jahrhunderts traten dann vermehrt arabische Schriftzüge sowie andere orientalische Musterungen auf.

Italienische Rohseiden-Importe

Auch für Samtstoffe aus Seide war Lucca berühmt. Aber nicht nur in Lucca wurde Samt hergestellt, auch Genua und Venedig waren Zentren der Samtproduktion. Für die Fertigung von Samt waren immense Mengen an Rohseide nötig, die aus den Regionen des Kaspischen Meeres, aus Persien, Turkestan und aus den syrischen Kolonien Venedigs importiert wurden. Venedig beschränkte sich damals nicht auf die Stadtregion, sondern war eine große See- und Handelsmacht mit Kolonien in der östlichen Mittelmeerregion, unter anderem im ehemals byzantinischen Scutari in der Nähe von Konstantinopel. Die europäische Seidenraupenzucht war verhältnismäßig unerheblich. Der größte europäische Rohseidenlieferant Italiens war Rumänien, danach folgten das Granada und Andalusien auf spanischem Gebiet. Die Seide wurde auf Packtieren in sogenannten „fardellis“ transportiert. Dabei handelte es sich um Baumwollsäcke in genormten Größen, die jeweils ein bestimmtes Gewicht an Rohseide fassen konnten.

Hohe italienische Qualitätsstandards

Für italienische Seidenprodukte gab es in allen Seidenzentren, d. h. auch in Pisa, Bologna und Florenz, strenge Vorschriften zu Qualität und Menge. Die Musterzeichner wurden angehalten, sich regelmäßig fortzubilden und zu diesem Zweck in die Modezentren Paris oder Wien zu reisen. Die Konkurrenz war groß, professionelle Spionage war an der Tagesordnung. Textilarbeiter hatten ein generelles Ausreiseverbot. Im 14. Jahrhundert flohen viele Textilarbeiter aus Lucca nach Venedig und ersuchten dort um politisches Asyl, nachdem in ihrer Stadt Unruhen ausgebrochen worden waren. Die Seidenwebereien Venedigs profitierten von der Zuwanderung der Fachkräfte.

 

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